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Dienstag, 8. Februar 2022

Die Kunst ganz zu sein statt gut!


"Willst du gut oder ganz sein?" hat C.G. Jung einmal gefragt. Gibt es da einen Unterschied? Ich glaube, der Unterschied ist gewaltig und macht ein ganzes Leben aus.
Im 5. Kapitel des Matthäusevangeliums lesen wir nach der Einheitsübersetzung. "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist." In der Regel verstehen wir den Satz so, dass wir gut sein sollen. Wir sollen so moralisch gut sein wie Gott. Gott ist der Maßstab für unsere Moral. Da werden wir Menschen ganz schnell ganz klein. So gut wie Gott kann kein Mensch sein.
Immerhin kommt dieser Satz von Jesus. C.G. Jung schlägt tatsächlich vor, dass wir weniger auf das "gut sein" schauen sollen sondern mehr auf das "ganz sein".
Dieser Satz steht allerdings auch in der Bibel. Gott sagt zu Abraham: "Wandle einher vor meinem Antlitz und sei ganz." Welch ein schöner Satz! Die Übersetzung des Jesus Satzes gibt übrigens nicht den Inhalt wirklich wieder. Dort steht das hebräische Wort: "tamin". Tamin bedeutet so viel wie "ganz" oder sogar "vergnügt". Das klingt doch ganz anders, wenn es heißt: "Seid also vergnügt, wie es auch euer himmlischer Vater ist."
Unsere Eltern haben es versucht, uns zu moralisch einwandfreien Menschen zu erziehen. Es gab ständig die Bewertung: "Das ist gut!" oder "Das ist schlecht!" Naschen ist schlecht, ordentlich grüßen (mit Diener) ist gut. Danke sagen ist gut und grußlos Geschenke entgegenzunehmen ist schlecht. An jeder Tat klebte ein Zettel: Gut oder Schlecht, Richig oder Falsch!
Als Erwachsener laufen wir dann ständig mit einem Bewerter herum. Auch wir kleben solche Zettel an uns oder an andere Menschen. Du bist richtig! Du bist falsch! Wenn du das tust oder jenes nicht tust!
Es ist sicherlich gut, gut zu sein! Die Welt braucht alle Retter und Heilige! Aber was ist mit deinen Fehlern, deinen Schwächen und deinen Schattenseiten? Was ist mit deiner Wut, deinem Ärger und deinen Tränen? Wo darfst du hin mit deinen Bedürfnissen und deiner Trauer? Bei "Gut" und "Heilig" findet es oft keinen Platz. Wenn du aber ganz bist, dann findet alles seinen Platz. Alles darf sein und nichts ist ausgeschlossen. "Sei vergnügt!" sagt Jesus. Das entspricht der Grundhaltung, wie im Paradies zu leben. Es ist genug da! Du bist genug! Die anderen Menschen sind genug! Es gibt keinen Mangel und es gibt nichts hinzuzufügen.
Es dauert lange, die Erziehungszettel von den Körperzellen zu entfernen, durchzustreichen, zu übermalen oder auszutauschen. Wie geht es dir mit deinem inneren Bewerter und Kritiker? Wie verträgt er sich mit dem "Erlauber"? Wenn du die Kunst beherrscht, eher ganz zu sein statt gut, wird man es dir ansehen! Dein Schritt wird leicht und dein Blick wird gütig.
www.matthias-koenning.de

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